Der Prozess
Ab dem 30. März 1737 wird Joseph Süß Oppenheimer über Monate hinweg auf dem Hohenasperg befragt. Der Angeklagte kennt seine Rechte. Er versucht sich an den Reichshofrat wenden, der für ihn als Hofjuden zuständig ist. Dies wird von Seiten seiner Ankläger gezielt abgeblockt. Auch seinen Wunsch nach einem persönlich ausgewählten Verteidiger gibt das Kriminalgericht nicht weiter. Der Prozess wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt. Sein Pflichtverteidiger Michael Andreas Mögling hat nicht vor, für seinen Mandanten zu kämpfen.
Im Verhör greifen die Kläger immer wieder auf antijudaische Vorurteile zurück. Anstatt Oppenheimers Kompetenz anzuerkennen, wirft man ihm vor, er habe den Herzog durch Schmeichelei manipuliert. Er muss zudem detailliert über seine sexuellen Kontakte Auskunft geben. Keiner der Hofbeamten, die im Zuge des Machtwechsels verhaftet werden, wird in vergleichbarer Weise verhört – und vor allem: keiner von ihnen wird hingerichtet.
Auch ohne Rechtsbeistand gelingt es Oppenheimer, sich gegen die Vorwürfe zu wehren. Seine Gegner suchen deshalb nach neuen Anklagepunkten. Sogar die Bevölkerung wird aufgerufen, Eingaben zu machen – ohne Erfolg.
Zuletzt wird Joseph Süß Oppenheimer für Handlungen verurteilt, die nicht er, sondern Herzog Karl Alexander zu verantworten hat. Strafverschärfend werten die Richter, dass der Beschuldigte „ein Jud ist, welche besonders in delictis, denen sie („die Juden“ e. A.) ergeben sind, härter zu bestrafen gehören.“
Mehr dazu:
Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß – Finanzier, Freidenker, Justizopfer, 1998
Denkblatt der Stiftung Geißstraße
Luciana Fischer
Im Oktober 1736 lernt Joseph Süß Oppenheimer in Mannheim Henriette Luciana Fischer kennen. Die 18-Jährige stammt aus gutem Hause und hat gerade eine Stellung als Kammerfrau angenommen. Wenige Tage später reist die sie mit Oppenheimer nach Stuttgart. Ihrem Vater vermittelt er eine Stelle als Regierungsrat an Karl Alexanders Hof. In seiner Ludwigsburger Wohnung ist Luciana als Haushälterin tätig. Über Monate hinweg führen die beiden eine Beziehung.
Nach Oppenheimers Verhaftung wird Luciana Fischer zunächst unter Hausarrest gestellt. Im April 1737 wird sie verhaftet. Man wirft ihr unter anderem „Konkubinat“ und Unzucht vor. Mit klugen Antworten setzt sie sich gegen die zudringlichen Fragen der Untersuchungsrichter zur Wehr. Zur Zeit ihrer Verhaftung ist sie schwanger. Es gelingt ihr, ihren Zustand lange Zeit zu verheimlichen. Unter schwersten Bedingungen bringt Luciana Fischer am 14. September im Ludwigsburger Zuchthaus einen Sohn zur Welt. Sie gibt Joseph Süß Oppenheimer als Vater des Kindes an. In ihren Aussagen hält sie weiterhin zu ihm.
Am 5. Januar 1738 stirbt der Säugling im eiskalten Gefängnis. Luciana Fischer wird, nachdem ihr Verhältnis zu Joseph Süß Oppenheimer offenkundig ist, für die Justiz uninteressant. In den Akten wird sie fortan nicht mehr erwähnt. Es ist möglich, dass sie sich gegen eine Haftstrafe freikaufen konnte.
Auch Joseph Süß Oppenheimer ist das Schicksal seiner Geliebten nicht gleichgültig. So versucht er während seiner Haft, etwas über ihr Schicksal zu erfahren. Auf einem Zettel, den er seinem Verteidiger zusteckt, erkundigt er sich nach „der Fischerin“. Eine Antwort erhält er nicht. Von der Geburt und dem Tod seines Sohnes hat er nie erfahren.
Mehr dazu:
Hellmut G. Haasis: Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß – Finanzier, Freidenker, Justizopfer, 1998
Die letzten Tage
Am 30. Januar 1738 wird Joseph Süß Oppenheimer früh morgens nach Stuttgart gebracht. Einen Tag später wird ihm sein Todesurteil verkündet. Bis zur letzten Minute beteuert er seine Unschuld.
Entschieden hält er an dem fest, was seine Gegner ihm nicht nehmen können: seinem Glauben. Er bittet um einen jüdischen Beistand und bekommt zumindest diese Bitte gewährt: Mardochai Schloß, Hoffaktor in Stuttgart, darf mit ihm beten. Unabhängig davon muss er aufdringliche Bekehrungsversuche von Seiten protestantischer Geistlicher erdulden.
In der Gefangenschaft ist Joseph Süß Oppenheimer bis auf die Knochen abgemagert, seine Kleidung ist zerrissen, er ist unrasiert und ungekämmt. In einem letzten Aufbäumen bietet er an, sein gesamtes Vermögen an Bedürftige zu stiften, sofern man ihm eine Berufung gewährt. Die Kommission müsse jedoch aus drei Nicht-Württembergern bestehen. Zu dieser Zeit sind seine Güter längst aufgelöst und beschlagnahmt.
Am Tag vor der Hinrichtung verschenkt der Todgeweihte seine Kleider an die Wachen und bittet um Trauerkleidung. Sie wird ihm verwehrt. Süß muss Staatskleidung in Rot tragen. In seinen letzten Stunden spricht er das Sündenbekenntnis auf hebräisch und schreibt sein Testament. Mit dieser Geste zeigt er sich noch einmal als selbstbewusster Weltmann. Er bedenkt nicht nur seine Familie sowie die jüdischen Gemeinden in Frankfurt und Heidelberg, sondern auch das Gefängnispersonal. Sogar die christlichen Geistlichen sollen eine Spende erhalten. In seiner letzten Nacht muss er hören, wie auf dem Marktplatz nach und nach Reiter und Pferdefuhrwerke eintreffen.
Mehr dazu: Landesarchiv-Baden-Württemberg
Hinrichtung als Volksfest
Die Hinrichtung Joseph Süß Oppenheimers wird am 4. Februar 1738 mit einem beispiellosen Spektakel inszeniert. 1 200 Soldaten sind in der Innenstadt postiert, 600 an der Richtstätte. Die Stadttore werden strengstens bewacht. 120 Grenadiere mit Bajonetten begleiten in einem langen Zug den Karren, auf dem der Verurteilte zum Galgenbuckel bei der Mönchshalde gebracht wird. Rund 12 000 Menschen sind gekommen, um die Hinrichtung mitzuerleben. Die Mitglieder des Kriminalgerichts sowie die wohlhabende Bürgerschaft verfolgen das Geschehen aus eigens zu diesem Anlass gezimmerten Tribünen.
Die Richtstätte ist die höchste in ganz Württemberg. Aufsehen erregt der eiserne Käfig, der zwölf Meter über dem Boden befestigt ist. Über eine Leiter wird Oppenheimer von vier Henkersknechten nach oben gezerrt. Der Verurteilte wird dort nicht erhängt, sondern mit einem Strick erdrosselt. Die Bestattung in der Erde, die in der jüdischen Religion rasch nach dem Tod erfolgen sollte, wird ihm versagt. Sein Leichnam bleibt sechs Jahre lang im Käfig.
Joseph Süß Oppenheimers Hinrichtung löst ein Medienspektakel aus, wie es Württemberg bis dahin nicht erlebt hat. In Tausenden von Flugblättern, Traktaten und Schmähschriften werden die vermeintlichen Verbrechen des „Jud Süß“ aufgezählt. Viele der Schreiberlinge wissen nicht einmal, weshalb Oppenheimer verurteilt wurde und fabulieren munter drauflos. Hinter beißendem Spott verbergen sich Hass, Rassismus und Antisemitismus.
Mehr dazu: Landesarchiv Baden-Württemberg
(Text: Angelika Brunke / Kathrin Wesely)