Der neue Joseph-Süß-Oppenheimer-Erinnerungsort
Geleitwort von Michael Kienzle

Michael Kienzle
Michael Kienzle, Geschäftsführender Vorstand der Stiftung Geißstraße © Stiftung Geißstraße / Foto: arge lola

Der Joseph-Süß-Oppenheimer-Platz heißt schon seit 1998 so. Der Zentralratsvorsitzende Ignaz Bubis hat diesen Platz eingeweiht. Die Wahl dieses unwirtlichen Ortes wurde damals gerade von denen heftig kritisiert, die sich für die längst überfällige Erinnerung an den rechtlos ermordeten herzoglichen Finanzrat einsetzten: Das sei doch ein ‚grauer Unort im Hinterhof‘, ein ‚Garagendeckel in höchst problematischer Nachbarschaft‘. Das sei keine Ehrung, sondern eine Schmähung des Justizopfers!
Wir von der Stiftung Geißstraße akzeptierten den Vorschlag als eine bürgerschaftliche Pflichtaufgabe. Wir wollten den öffentlichen Platz neu beleben. Und gleichzeitig der Erinnerung an einen historischen Skandal einen festen Ort im Stadtbild und im Stadtgedächtnis sichern. Denn Erinnerung braucht geeignete Orte!
Der lange Weg zu einem würdigen ‚Platz für Joseph Süß Oppenheimer‘, den OB Schuster bei der Einweihung in Aussicht gestellt hatte, war gepflastert mit Anträgen, mit Mitteilungs- und Beschlussvorlagen, mit Berichten in vielen Sitzungen der verschiedensten Ausschüsse auf Stadtrats- und Bezirksebene. Doch 2019 schließlich fasste der Gemeinderat den Umgestaltungsbeschluss und vier Jahre später, 2023, kam es tatsächlich zum Baubeschluss.
In demselben Jahr versammelte die Stiftung elf historisch arbeitende Stuttgarter Einrichtungen zu einem Veranstaltungszyklus ‚Ein Platz für Joseph Süß Oppenheimer‘  von der IRG, dem Haus der Geschichte bis zum Hospitalhof.
Wir wollten vor allem die traurige Geschichte des in Stuttgart schuld- und rechtlos ermordeten Juden und die schlimmen Folgen solchen Unrechts bis in die Gegenwart ins aktuelle Bewusstsein rufen.
Die Planungsbüros, das Designbüro Schneider, das Stadtplanungsamt und besonders das Tiefbauamt mit Martina Klose nahmen sich der Umgestaltung des Platzes mit Erinnerungsort engagiert und energisch an. So wurde das Erinnerungsprojekt zu einer neuen produktiven Erfahrung vorbildlich bürgerfreundlichen Verwaltungshandelns!
Der neue Oppenheimer-Platz ist jetzt ein angenehmerer Aufenthalts- und Rückzugsort neben der trubeligen Königstraße. Seine Neugestaltung und Begrünung ist ein städtebaulicher Gewinn!
Doch worin liegt der ideelle Gewinn? Welchen Sinn macht es, noch heute an diesen hochbegabten charismatischen Reformer des württembergischen Finanzwesens, den die ‚ehrbaren‘ Landstände, die schwäbischen Juristen und Theologen im Alter von nur 40 Jahren verurteilen und aufhängen ließen?
Oppenheimer war für seine Zeitgenossen eine ikonische Hassfigur antisemitischer Aggressionen. Und blieb das nach seiner Hinrichtung am 4. Februar 1638  bis weit in unsere Gegenwart hinein. Der Regisseur Veit Harlan hat die biografische Verzerrung mit seinem Jud-Süß-Film so infam zugespitzt, dass die SS Sonder-Vorstellungen zur gezielten Anstachelung antisemitischen Rassenhasses durchführen konnte.
Und heute? ‚Jüdisches Leben ist noch nie so schlecht in diesem Lande seit 1945.‘ Das sagte Michel Friedmann im Jahr 2024. Jüdinnen und Juden werden nur ihrer Herkunft wegen angepöbelt und verfolgt, Synagogen und Erinnerungsstätten werden angegriffen.
Weil wir offensichtlich schon wieder so weit sind, ist es unsere Bürgerpflicht, dem Antisemitismus entgegenzutreten, wo immer und wann immer er sich breit macht, um seine falschen Erzählungen zu verbreiten. Antisemitismus ist die dümmste Form rassistischen und nationalistischen Denkens und ein Nährboden verbrecherischen Handelns.
Es war die rassistische Idee des Antisemitismus, die 1738 zu der volksfestähnlichen Gewaltorgie einer ganzen Stadt gegen Joseph Süß Oppenheimer führte. Sie setzte sich fort in der Vertreibung aller Juden und Fremden aus Stuttgart.
Der erneuerte Platz ist jetzt auch ein Lernort. Hier wird nicht nur an Oppenheimer erinnert und korrekt informiert. „Alle Erinnerung ist Gegenwart“, schrieb Novalis. Die Erinnerung hilft uns Heutigen, unserer Pflicht nachzukommen:
Wir können auf dem neuen Platz lernen, dass Menschen aller Abstammungen, dass Minderheiten Rechte haben, dass die Würde jedes einzelnen Menschen unantastbar ist  ohne Ausnahme, und dass niemand das Recht hat, andere Menschen mit dem Tode zu bestrafen.
Die Stiftung Geißstraße hat sich der Bürgerpflicht zur Erinnerung schon mit vielen Projekten verschrieben. Sie wird den neuen Platz auch künftig in diesem Sinne nutzen! Gerne zusammen mit allen, die für ein weltoffenes und tolerantes Stuttgart arbeiten.

Michael Kienzle
Vorstand Stiftung Geißstraße
November 2024