Plakat Jud Süß
Filmprogramm „Jud Süß“, 1940 © Privatbesitz Dirk Mende

Literarische Verwandlungen

Die historische Person Joseph Süß Oppenheimer wurde rasch verdeckt von den Legenden, die sich um sie rankten. Diese Entwicklung setzte bereits zu einer Zeit ein, da Oppenheimer noch am Leben war. Während seines Gerichtsprozesses erschienen zahlreiche Flugblätter, die den vornehmen Hofjuden karikierten und sich mit hämischem Unterton an seinem jähen Fall ergötzten. Später folgten literarische Auseinandersetzungen mit dem Stoff.

Breite Bekanntheit erlangte Wilhelm Hauffs Novelle „Jud Süß“, die 1827 erschien. Hauff las alle ihm zur Verfügung stehenden Quellen wie anonyme Berichte, Spottgedichte und Zeitungsnachrichten. Auch befragte er Menschen, deren Eltern und Großeltern Zeugen der fast 90 Jahre zurückliegenden Ereignisse gewesen waren. Die Prozessakten aber waren noch unter Verschluss. Auch erfuhr er kaum etwas über Oppenheimers Leben vor seiner Zeit in Württemberg. Hier ist sehr wenig überliefert – ein Umstand, der die Legendenbildung begünstigte.

Wilhelm Hauff
Hauff zeichnet seinen “Jud Süß” als gefühllosen Menschen ohne moralische oder religiöse Skrupel, dessen Handeln allein dem eigenen Machtkalkül gehorcht. Äußerlich attraktiv und mit aristokratischen Manieren, ist er jedoch im Kern ein Unmensch, der teuflische Züge trägt. Der Dichter verband in seiner Novelle die historische Erzählung mit antijüdischen Stereotypen und half so, das Bild vom reichen, machtgierigen, unmenschlichen Juden im kulturellen Gedächtnis zu verankern. Sie erfuhr zahlreiche Auflagen, wurde in Reclams Universalbibliothek aufgenommen und entfachte Wirkung: Die Hamburger Historikerin Barbara Gerber bezeichnet Hauff als den „Ahnherren der antisemitischen Literaturtradition“.

Lion Feuchtwanger
In Lion Feuchtwangers Roman „Jud Süd“ von 1925 ist Oppenheimer ungleich differenzierter gezeichnet. Aus verschiedenen Perspektiven schildert der Autor die Interessen, Ränke und Intrigen am Württembergischen Hof. Berechnend, machtbesessen und opportunistisch versuchen sich die Höflinge ihren Vorteil zu verschaffen. Oppenheimer bildet dabei keine Ausnahme. Zugleichkennzeichnet Feuchtwanger mit diesen Eigenschaften den modernen Menschen im Allgemeinen. Die Tochter, die Feuchtwanger ihm andichtet, bewegt ihn aber zur Umkehr: So findet Oppenheimer in der Haft zum Judentum zurück, wendet sich ab von weltlichem Verlangen, vergeistigt und erfährt inneren Frieden. Feuchtwanger lässt Oppenheimers Widersacher Weißensee vor der Hinrichtung sagen: „Nenikekas, Judae!“ (Du hast gesiegt, Jude)Außerdem gelingt es den Stuttgarter Juden im Roman, den Leichnam Oppenheimers in der Nacht zu stehlen und gemäß dem Ritus zu begraben.
Das Augenmerk des jüdischen Autors liegt eindeutig nicht darauf, den historischen Geschehnissen getreulich zu folgen. In der Forschung kursiert vielmehr die These, Feuchtwanger habe den Aufbruch in eine neue Ära entwerfen wollen.

Selma Stern
Im Jahr 1929 veröffentlichte die jüdische Historikerin Selma Stern eine erste Biografie über Joseph Süß Oppenheimer: „Jud Süß – ein Beitrag zur deutschen und zur jüdischen Geschichte“. Von Feuchtwangers Roman einmal abgesehen, dominierte bis dahin eine antisemitische Vereinnahmung sowohl der historischen Person Oppenheimers als auch ihrer Legende.
Die Prozessakten waren seit 1919 öffentlich zugänglich, Stern studierte diese und andere Quellen. Sie porträtiert Oppenheimer vor dem Hintergrund seiner Epoche und schlussfolgert: Sein Denken war bereits geprägt vom Rationalismus der Aufklärung, sein Verhalten emanzipiert – er hielt sich schlicht nicht an die engen Vorgaben, die für Juden galten. Er lebte auch nicht nach jüdischem Brauch, obwohl er gläubig war, sondern machte sich die höfischen Gepflogenheiten zu eigen. Kurzum, Joseph Süß Oppenheimer lehnte den Status des Fremden ab, den man allen Juden aufzwang.
Stern betrachtet Oppenheimer als tragisch Verfrühten, als „ersten emanzipierten Juden vor der Emanzipation“, wie sie schreib. Was Oppenheimer zu leben wagte, war zu seiner Zeit noch Tabu.

Veit Harlan
Der nationalsozialistische Propagandafilm „Jud Süß“ von 1940 sollte für sehr lange Zeit alles überlagern, was bis dahin über Joseph Süß Oppenheimer je veröffentlich worden war. Reichspropagandaminister Joseph Goebbels hatte den Film in Auftrag gegeben und beaufsichtigte persönlich die Dreharbeiten. Die Handlung entfernt sich weit von den historischen Fakten, ist grob an der Novelle Wilhelm Hauffs orientiert, aber erheblich anders akzentuiert. In Veit Harlans Film ist die Figur des “Jud Süß” nicht bloß machtgierig und skrupellos. Er trachtet auch danach, die Württembergische Ständegesellschaft zu unterminieren. Der eigentliche Antrieb dieser Figur aber ist Lüsternheit. Sein schwerwiegendstes Verbrechen ist im Film die erfundene Vergewaltigung einer Christin. Im faschistischen Deutschland erfüllte das den Straftatbestand der „Rassenschande“, der sich ausschließlich auf Juden bezog.
Einziges Ziel des Films war es, den Hass der Bevölkerung zu schüren und so letztlich die Akzeptanz zu fördern für den Massenmord an Millionen Juden. „Jud Süß“ lief ungewöhnliche 15 Monate lang in den deutschen Kinos. Heinrich Himmler, Reichsführer SS und einer der Hauptverantwortlichen des Holocaust, ordnete an, dass der Film allen Wachmannschaften der Konzentrations- und Vernichtungslager sowie den Erschießungskommandos der SS vorgeführt wurde. Man geht davon aus, dass damals 20 Millionen Deutsche, ein Drittel der Bevölkerung, den Film sahen.
Der Regisseur Veit Harlan musste sich 1949 vor dem Landgericht Hamburg wegen „Beihilfe zu Verfolgung“ verantworten, wurde aber freigesprochen. Denn ein strafrechtlicher Zusammenhang zwischen Film und Völkermord konnte nicht bewiesen werden. Der Film selbst ist heute in Deutschland verboten – nicht aber in Österreich und der Schweiz.

In den vergangenen Jahrzehnten sind mehrere wissenschaftliche Publikationen erschienen, die sich mit Joseph Süß Oppenheimer selbst oder Aspekten seiner Wirkungsgeschichte befassen. Exemplarisch seien hier genannt:

  • Barbara Gerber, „Jud Süß – Aufstieg und Fall im frühen 18. Jahrhundert“, 1990
  • Hellmut G. Haasis, „Joseph Süß Oppenheimer, genannt Jud Süß: Finanzier, Freidenker, Justizopfer“, 1998
  • Alexandra Pzyrembel/Jörg Schönert (Hg), „Jüd Süß – Hofjude, literarische Figur, antisemitisches Zerrbild“, 2006
  • Gudrun Emberger/Ludwig Bez (Hg.), „Joseph Süß Oppenheimer“, 2006
  • Raquel Erdtmann, „Joseph Süßkind Oppenheimer – Ein Justizmord“, 2024

(Text: Angelika Brunke / Kathrin Wesely)