Wenn Kartoffeln einen Kurzurlaub von Krisen bieten

von Christian Milankovic, 14.04.2016 – Stuttgarter Zeitung

Als wäre die Welt nicht schon kompliziert genug, ist auch noch kaum Platz vorhanden, sie zu erklären. In vergleichsweise bescheidenen 32 Zeilen versucht sich daran eine Handvoll Autoren der Stuttgarter Zeitung jeden Tag aufs Neue. In der Glosse „Unten rechts“, die auf der Seite Drei erscheint, nähern sie sich dem täglichen Nachrichtenwahnsinn mit leichter Feder. Für die Redakteurin Christine Keck, die die Seite Drei mit dem Glossenplatz sechs Jahre lang betreute, stellt das kompakte Stück „einen Kurzurlaub“ dar, der es erlaube, die Gedanken schweifen zu lassen. Zusammen mit den „Unten rechts“-Autoren Martin Gerstner und Guido Heisner hat sie eine Auswahl nun in dem Buch „Die Welt in 32 Zeilen“ zusammengefasst, das im Verlag Klöpfer & Meyer erschienen ist. In der Stiftung Geißstraße 7 wurde es am Dienstagabend vorgestellt.

Der Hausherr Michael Kienzle erinnerte an das Vorhaben der Stiftung, eine Reihe über „die aufklärende Wirkung der Satire“ zu initiieren. „Aber das Lachen ist einem jüngst fast vergangen.“ Dass dennoch Heiterkeit herrschte, lag an der launigen Art, in der sechs der Glossenschreiber unter der Moderation von StZ-Redakteur Ingmar Volkmann das Büchlein vor Publikum vorstellten. Für Werner Ludwig, lange Jahre als Wirtschaftsredakteur eher mit trockenen Fakten beschäftigt, ist die Glosse „ein Ausgleich zu den ernsten Themen des Tagesgeschäfts“. Der Doktor der Agrarwissenschaften widmet seine Beiträge auffallend oft dem Leitmotiv der Kartoffel. Es muss also nicht immer um das große Ganze gehen, wenn sich bei aller Erdenschwere in 32 Zeilen der gehobene Unsinn Bahn bricht.

Auf die unausgesprochene Frage, woher die Ideen zur täglich erscheinenden Glosse kommen, bekannte sich Christoph Link offen und ehrlich zur Fremdinspiration. „Da stauben wir aus anderen Blättern, den Nachrichten und den Agenturen ab.“ Das tägliche Leben biete ausreichend Vorlagen, einen geschriebenen Ausritt ins Absurde zu unternehmen. Markus Klohr formulierte für sich den Anspruch, in jedem Satz ein Wortspiel unterzubringen, woran er aber regelmäßig scheitere. Nah dran am Vorsatz war er aber mit seinem Text über das Kartoffel-Kartell, eine Reminiszenz an die Ludwig’sche Vorliebe für das Nachtschattengewächs.

Guido Heisner, lange Zeit Spätdienstredakteur der StZ und mittlerweile in den Diensten der Funke Mediengruppe, war eigens für einen Abend aus Berlin nach Stuttgart zurückgekehrt – mit der schlechten Nachricht im Gepäck, an der neuen Wirkungsstätte schlicht zu wenig Zeit zum Glossenschreiben zu haben. Ob denn der Zeitdruck und die Panik angesichts des nahenden Andrucks ein Kreativmotor sein könnte, wollte Volkmann von Martin Gerstner wissen. So recht rausrücken mit der Sprache wollte der Gefragte nicht, bekannte aber auch, dass die Freiräume beim Verfassen der kurzen Betrachtungen es erlaubten, den nötigen Abstand zu den teilweise erschreckenden Nachrichten aus aller Welt zu gewinnen.

Seinen Spott gießt Gerstner gleichmäßig übers Erdenrund aus, wobei er in seinem Vortrag eine gewisse Vorliebe für Häme Richtung Schweiz und Großbritannien erkennen ließ. Trotz der aktuell erbittert geführten Diskussion über die Grenzen der Satire eine Auswahl, die für Christine Keck vollkommen in Ordnung ging. „Im ,Unten rechts‘ hat noch jede Randgruppe eine mitbekommen.“

Michael Kienzle, der einräumte, auch mal mit „seiner“ Zeitung zu hadern, will diese spezielle „Stelle, wo die schrecklichen Weltenläufte reflektiert werden“, nicht missen. Den Autoren gab er mit auf den Weg: „Geben Sie Ihren Platz ,Unten rechts‘ nicht auf.“