Solarzellen aus dem Tintenstrahldrucker

von Ingmar Volkmann, 29.11.2014 – Stuttgarter Zeitung

Mein Stuttgart 2014: ZSW
Michael Kienzle staunt über eine Solarzelle aus Folie. © Ines Rudel
Mein Stuttgart 2014: ZSW Bild 2
Ulrich Zuberbühler erklärt die Funktionsweise seines Reaktors. © factum/Weise

Explosionsgefahr! Funkenbildung vermeiden!’ Die Beschriftung der Eingangstür weist die Teilnehmer des Stadtspaziergangs höflich darauf hin, dass sie jetzt hochspannendes Terrain betreten: die ehemalige Kompressorhalle der EnBW in Vaihingen, in der heute das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) an der Energieversorgung der Zukunft tüftelt.

ZSW-Mitarbeiter Ulrich Zuberbühler präsentiert einen Reaktor, der die komplette Palette deutscher Ingenieurkunst aus dem Themenfeld Rohr beinhaltet. Dabei liefert er einen routinierten Vortrag für Freunde einer gepflegten Nachhilfestunde in Chemie ab, in der unter anderem die Begriffe Kühlkreislauf, stöchiometrische Berechnung und hochkalorisches Netz vorkommen. Vereinfacht gesagt wandelt das ZSW in diesem Reaktor Strom in Gas um. In der ‘Power-to-Gas-Anlage’ wird aus Wasserstoff und Kohlendioxid Methan produziert, das eine solche Reinheit hat, dass es in das Gasnetz eingespeist werden kann. So kann überschüssige Energie künftig genutzt werden, ohne zwischengespeichert werden zu müssen.

Dass man für den letzten Stadtspaziergang der Saison – die Veranstaltungsreihe wird von der Stiftung Geißstraße in Kooperation mit der Stuttgarter Zeitung angeboten – kein Diplom in Chemie oder Physik benötigt hat, lag vor allem an Frithjof Staiß. Der geschäftsführende Vorstand des ZSW hatte zu Beginn der Veranstaltung in einem kurzweiligen Vortrag die theoretische Grundlage für den Spaziergang in die Kompressorhalle gelegt. Das ZSW ist eines der führenden europäischen Energieforschungsinstitute. 240 Fachleute arbeiten in den Bereichen Energiespeicherung sowie Solar- und Batterieforschung an drei Standorten. ‘Wir kochen hier auch nur mit Wasser. Ich versuche, es so zu verpacken, dass Sie das nicht merken’, sagte Staiß zu Beginn seines Vortrags, in dem er auch Ausblicke in die Zukunft der Mobilität gab.

Der gelernte Maschinenbauer Staiß verfügt über die in der Wissenschaft nicht gerade weit verbreitete Fähigkeit, komplexe Dinge einfach und launig zu erklären. So führte er den Stadtspaziergang-Teilnehmern Materialien der Solartechnologie vor, mit denen das ZSW den aktuellen Weltrekord in der Dünnschicht-Fotovoltaik in Bezug auf den Wirkungsgrad hält. ‘Beim nächsten Klimagipfel wird mit Sicherheit wieder nichts herauskommen, hinter den Kulissen tut sich aber einiges’, versicherte Staiß und erklärte den erstaunten Zuhörern, dass man in gar nicht allzu ferner Zukunft mit einem gewöhnlichen Tintenstrahldrucker Solarzellen herstellen wird, wenn die Tinte zuvor mit bestimmten Nanopartikeln versetzt wurde.

In seinen Ausführungen zur umweltfreundlichen neuen Mobilität bezog sich Staiß auf die im Stuttgarter Stadtgebiet sichtbaren Fahrzeuge der Car2go-Flotte und sprach konsequent von Smarties statt von Smart. ‘In den nächsten zehn Jahren rechne ich mit einer doppelten Reichweite der E-Fahrzeuge bei deutlich reduzierten Kosten’, sagte Staiß in Bezug auf die heute geringe Leistung des Elektroantriebs.

Der Vaihinger Ausflug in die Zukunft der Energiegewinnung war der letzte Stadtspaziergang des Jahres 2014. ‘In dieser Staffel haben wir uns angeschaut, wo in Stuttgart Zukunft entsteht, wo sie gemacht wird. Das ZSW ist die erste Adresse, wenn es um die Energiewende geht’, erklärte Michael Kienzle, Vorstand der Stiftung Geißstraße. Frithjof Staiß wünschte er Kraft für eine besonders schwierige Aufgabe am Wochenende: ‘Sie müssen ja noch mit Sigmar Gabriel reden.’ Das ZSW betreibt nämlich nicht nur Forschung, sondern berät Landes- und Bundesregierung bei der Energiewende. ‘Wissenschaft ist bei uns kein Selbstzweck, als Technologietransfer-Einrichtung müssen wir schauen, wo es einen Bedarf gibt. Daher haben wir einen guten Zugang zur Politik’, so Frithjof Staiß.

Die Reihe ‘Stadtspaziergang’ wird im neuen Jahr fortgeführt. Dann drehen sich die Veranstaltungen um das Thema Shared Economy. ‘Dabei werden wir zum Beispiel Einblicke in die Themen Carsharing oder Urban Gardening ermöglichen’, verriet Michael Kienzle. Die Stiftung Geißstraße blickt aber nicht nur in den Stadtspaziergängen über die Gegenwart hinaus. Die Einrichtung hat unter anderem auch das Kartell Zukunft ins Leben gerufen, in dem Volkshochschule, Kirchen, die Uni Stuttgart und andere vertreten sind. ‘Da überlegen wir, wie es mit Stuttgart vorangehen könnte’, so Kienzle. Im Herbst 2015 soll ein Kongress zu diesem Thema stattfinden. Mehr im Netz unter kartellzukunft.de.