Es fehlen die Überzeugungstäter

von Sven Hahn, 13.10.2014 – Stuttgarter Zeitung

Mein Stuttgart 2014: Transsolar
Thomas Auer (rechts) erklärt für die Stiftung Geißstraße seine Arbeit. © Heinz Heiss

Wenn Thomas Auer über Fortschritte in Sachen Architektur und Stadtentwicklung spricht, schenkt er Effizienzsiegeln oder Passivhausstandards nur wenig Beachtung. ‘Der wichtige Begriff lautet heute Suffizienz. Also die Frage wie es uns gelingen kann, mit möglichst geringem Rohstoffeinsatz gute Ergebnisse zu erzielen’, erklärt der Geschäftsführer der Firma Transsolar in Vaihingen. Mit seinem 35 Mitarbeiter großen Team ist Auer weltweit im Einsatz. ‘Normalerweise stöbern wir bei unseren Stadtspaziergängen in der Vergangenheit der Stadt’, so Michael Kienzle, der Geschäftsführende Vorstand der Stiftung Geißstraße, ‘doch heute wollen wir erfahren, wie die Zukunft der Stadt aussehen könnte.’

Auer wirft zu Beginn seines Vortrags ein Bild verschiedener Unterhosen an die Leinwand. ‘Proof of global warming’ (zu deutsch: der Beweis für die Klimaerwärmung) ist da zu lesen. Eine dicke Miederhose steht für das 19. Jahrhundert, ein winziger Tanga für die Gegenwart. ‘In den USA arbeitet eine starke Lobby, daran, die Meinung zu verbreiten, die Klimaerwärmung existiere gar nicht’, erzählt Auer, ‘dabei sind 99 Prozent aller Forscher davon überzeugt.’

Und obwohl Nordamerika als wenig fortschrittlich in Sachen Klimaschutz gilt, steht eines der wichtigsten Projekte der Vaihinger Ingenieurfirma dort. ‘Wir haben in Winnipeg, in Kanada, für den dortigen Energieversorger Manitoba Hydro eine neue Firmenzentrale für 2000 Mitarbeiter mitten in die Stadt gebaut’, berichtet Auer. ‘Im Winter wird es dort so kalt, dass kochendes Wasser an der Luft sofort gefriert’, sagt der Geschäftsführer. Trotzdem ist es den Vaihingern gelungen, dass das neue Hochhaus lediglich ein Sechstel der Energie verbraucht, wie das in Kanada durchschnittlich der Fall ist.

‘Wir haben uns den Standort des ­Vorhabens ganz genau angesehen’, sagt Auer. Ein Prinzip, das bei allen Transsolar-Projekten gilt. Winnipeg bekommt demnach mehr Sonnenstrahlung ab als Mailand. Das hat man sich zu Nutzen gemacht. Anstelle einer Lüftung atmet das Gebäude Frischluft, die im Winter mit geothermischer Energie, die direkt unter dem Haus gewonnen wird, aufgewärmt wird. Im Sommer wird ohne Klimaanlage gekühlt. Ein Wasservorhang, bestehend aus unzähligen dünnen Rohren, an denen Wasser heruntertropft, befeuchtet die Luft.

‘Dabei war das Ziel nicht allein, Energie einzusparen’, berichtet Auer. Die fast ausgestorbene Innenstadt sollte durch die Ansiedlung des in öffentlicher Hand befindlichen Energieversorgers vitalisiert werden. ‘Es gibt in dem Bürogebäude für 2000 Menschen keine Kantine, kein Fitnessstudio und keine Parkplätze’, sagt Auer, ‘denn all das ist in der Umgebung vorhanden.’ Das Ergebnis: die Restaurants der Innenstadt verzeichnen seit der Ansiedlung 300 Prozent bessere Geschäfte. ‘Zusätzlich hat der öffentliche Raum wieder begonnen zu leben’, berichtet der Transsolarchef. ‘Wir müssen nicht nur über die Funktionsweise eines Gebäudes nachdenken sondern auch über dessen grundlegenden Sinn und seine Umgebung sprechen’, so Auer. Denn auch wenn ein Einkaufszentrum mit goldenen Baustandards ausgezeichnet werde, bleibe es eine Mall und trage in der Regel nur ­wenig zum öffentlichen Leben bei.

‘Warum verwirklichen Sie als Stuttgarter solche Projekte in Kanada und nicht hier bei uns?’, fragt Michael Kienzle von der Stiftung Geißstraße. ‘Das ist jedenfalls keine Frage des Geldes’, antwortet Auer. Es sei vielmehr die Frage, wie entschlossen ein Bauherr an das Projekt herangeht. ‘Es gibt wenig Überzeugungstäter. Kaum einer ist bereit, den ganzen Weg zu gehen.’

Was er tut, bezeichnet Auer als ‘basteln. Denn es gibt kein gutes Wort für das englische ,engineering’‘, sagt der Firmenchef. Doch Auer kommt auch in Stuttgart dazu, zu basteln. ‘Im Theaterhaus am Pragsattel haben wir uns um die Lüftung gekümmert’, berichtet er. Dazu habe man den roten Kamin auf dem Gebäude installiert. ‘Die Lüftung funktioniert ohne Gebläse’, sagt er. Stattdessen lassen die Ingenieure kalte Luft auf Höhe des Fußbodens in die Räume quellen. Die Luft erwärmt sich, steigt auf und wird an der Decke abgesaugt. ‘Der Vorteil ist, wir arbeiten mit Frischluft und es entstehen kaum Geräusche’, so Auer. Ein Vorteil, der in Konzertsälen besonders wichtig sein kann.

Für Auer ist der öffentliche Raum der Schlüssel zu einem Städtebau, der den Bürgern einer Stadt von Nutzen sein kann. Dabei geht es ihm nicht allein um die Frequenz auf öffentlichen Plätzen. ‘Im Hitzesommer 2003 war die Innenstadt von Paris tagsüber lediglich ein Grad wärmer als das Umland’, berichtet der Firmenchef. ‘In der Nacht waren es jedoch im Schnitt zehn Grad Unterschied. Das wurde zu einem echten Problem. Die Stadt hat sich schlicht nicht mehr abgekühlt.’ Schuld daran ist aus Sicht des Klimaingenieurs die Infrastruktur für das Auto. ‘Aus diesem Grund erscheint mir die Debatte um das Stuttgarter Parkhaus am Rathaus völlig irrsinnig’, sagt Auer. ‘Das ist ohnehin absolut fehl am Platz.’ Zum einen müsse eine Stadt nicht derart viele Parkplätze vorhalten, dass jeder an einem Adventssamstag bequem parken könnten. ‘Außerdem könnte man da eine sinnvolle Brücke zwischen Marktplatz und dem Bereich rund um den Hans-im-Glück-Brunnen schlagen’, so Auer.

Um all diese Ideen in die Welt zu tragen, hat die Vaihinger Firma eine eigene Akademie gegründet. ‘Wir bilden sechs junge Menschen in dem aus, was wir tun’, sagt Auer. Die Studenten stammen aus dem, was der Firmenchef Majority World nennt, also die Mehrheit der Welt – Indien, der Nahe Osten, Bangladesch. ‘Es muss über die nächste Generation gehen. Ansonsten ­lassen sich unsere Probleme nicht lösen’, erklärt der Firmenchef.